Titelbild: Stockholm Resilience Centre, 2022
Die 17 Ziele mit ihren 17 bunten Icons fassen die großen globalen Fragen zusammen und öffnen das gesamte Bild für die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Aspekte einer starken Nachhaltigkeit. Leicht kommt man über sie ins Gespräch und auch ins Tun. Trotzdem fehlt ihnen etwas: Die SDGs geben weder quantitative noch absolute Ziele vor. Es gibt keine erdsystemisch abgeleiteten Grenzwerte und damit keine klare Richtschnur, anhand derer beurteilt werden kann, ob eines der Ziele aus globaler Sicht wirklich erreicht ist.
Es lohnt sich daher, sich mit den planetaren Belastungsgrenzen auseinanderzusetzen (Beschreibung siehe blauer Info-Kasten unten). Sie betrachten den sicheren Handlungsgraum unseres Planeten Erde, und bilden den Rahmen für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft. Wenn wir hier auf der Website immer wieder salopp von den “planetaren Grenzen” schreiben, meinen wir genau diese.
Ein Gastbeitrag von Stefan Schmied, M. Sc. Umweltwissenschaften
SDGs go local but planetary boundaries frame global
Ob Hitzeperioden, Sturmschäden, Überschwemmungen, Waldbrände oder sinkende Flusswasserpegel: Kommunen in Deutschland sind zunehmend mit den regionalen Auswirkungen globaler und miteinander verknüpfter ökologischer Krisen wie der Klimaerwärmung und dem dramatischen Verlust von Arten und Ökosystemen sowie den daraus resultierenden sozialen Verwerfungen konfrontiert.
Die 17 politischen Ziele
Gleichzeitig stehen Städte und Kommunen der Aufgabe gegenüber, international wie national vereinbarten Nachhaltigkeitszielen gerecht zu werden. Deutschland hat sich in diesem Zuge gemeinsam mit den anderen 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 2015 den Sustainable Development Goals (SDGs) verpflichtet. Die 17 SDGs bilden ein politisches Rahmenwerk von sozialen, wirtschaftlichen wie ökologischen Nachhaltigkeitszielen. Die einführend benannten ökologischen Krisen werden dabei durch die SDGs 6, 13, 14, und 15 und ihre jeweiligen Unterzielen angesprochen. Jedes dieser Nachhaltigkeitsziele besitzt mehrere Indikatoren, welche eine Einschätzung der gegenwärtigen Entwicklung ermöglichen sollen.
Obgleich es sich bei den SDGs um eine gut vermittelbare und umfassende Nachhaltigkeitsagenda handelt, gibt es dabei Herausforderungen bei der konkreten Umsetzung und der Beurteilung der darin angestrebten nachhaltigen Entwicklung:
- Die Ziele sind weitgehend allgemein formuliert und lassen damit viel Raum zur Interpretation.
- Die Konzeption der SDGs vermittelt ein unabhängiges Nebeneinander aller Ziele und lässt so bestehende Wechselwirkungen und gegenseitige Abhängigkeiten unbeachtet.
- Es handelt sich um relative und nicht um absolute Nachhaltigkeitsziele, aus denen sich zwar zeitliche Entwicklungen anhand der Indikatoren ablesen lassen; ein quantitativer Bezug zu den erdsystemischen wie regionalisierten Belastungsgrenzen kann aber nicht hergestellt werden.
SDGs meet PB
Ordnet man die SDGs den drei Aspekten der Nachhaltigkeit zu, ergibt sich unten stehendes Bild (Abbildung 1). Die Biosphäre bildet das Fundament für Wirtschaft und Gesellschaft. Verlassen wir hier den ökologisch “sicheren Handlungsraum” unserer Biosphäre, sind Wirtschaft und Soziales ebenfalls gefährdet.
Eine Möglichkeit, den relativen 17 Zielen einen quantitativen Bezug zum Erdsystem zu geben und die globalen Herausforderungen in regionale Ziele zu übersetzen, bietet sich in der Operationalisierung (= Anwendung) des Rahmenkonzepts der planetaren Belastungsgrenzen (siehe blaue Box unten). Nach diesen neun planetaren Belastungsgrenzen können regionale Belastungsgrenzen quantifiziert sowie die absoluten planetaren Belastungsgrenzen (PBs) auf eine bestimmte Region, wie zum Beispiel dem Nürnberger Land, angewendet und übersetzt (regionalisiert) werden. Diese Vorgehensweise erlaubt die Bestimmung eines „sicheren Handlungsraums“, die Ausweisung des regionalen Handlungsbedarfs, sowie eine tatsächliche Verortung regionaler Belastungszustände mit den globalen ökologischen Krisen.
PBs go local
In einer im Mai 2022 fertig gestellten Masterarbeit wurde für die Region Nürnberger Land dieser Ansatz untersucht und als Grundlage für ein landkreisweites Nachhaltigkeitspräzedenzkonzept erprobt.
Hierin konnte gezeigt werden, dass je nach angewandter ökonomischer Leistungsmessung bei acht bis zehn der zehn untersuchten Belastungszustände der sichere Handlungsraum in der Region bereits verlassen wurde (siehe Abbildung 2). Im Rahmen dieser Arbeit wurden die vier PBs, die auf globaler Ebene bereits überschritten wurden, genauer betrachtet und regionalisiert, und zwar
Klimawandel, Integrität (Unversehrtheit) der Biosphäre, Landnutzung sowie die biogeochemischen Flüsse von Stickstoff und Phosphor.
Daraus wurde wiederum der regionale Handlungsbedarf bestimmt.
PB Klimawandel
Die Auswertung für die Region Nürnberger Land ergab dabei eine Belastung bei der PB des Klimawandels bei territorialer Betrachtung (also nur des im Nürnberger Land produzierten Kohlendioxids) von 436 % . Die normierte Belastungsgrenze ist in der Grafik als orangene Linie dargestellt. Bei der konsumbasierten Betrachtung (also wenn man den durch den Konsum im Nürnberger Land weltweit freigesetzten Kohlendioxid mit berücksichtigt) ergibt sich sogar eine Überbelastung von 510 %, was nicht mit dem Erreichen des 1,5 Grad-Ziels vereinbar ist.
PB Integrität (Unversehrtheit) der Biosphäre
Für die Beurteilung der Biosphärenintegrität und damit des Artensterbens sowie der Degradation der regionalen Ökosysteme wurde anhand des invertierten BII (= umgedrehter Biodiversität Intaktheitsindikator) eine Quantifizierung vorgenommen. Für die bewaldeten Flächen ergibt sich bislang keine Überschreitung, für unbewaldete Flächen hingegen eine deutliche Überschreitung der Belastungsgrenze. Als weiterer, ökosystemar wichtiger Indikator, wurde ergänzend der Anteil der vorhandenen Wildnisflächen (streng geschützte und damit nicht bewirtschaftete Flächen) mit der nach den bayerischen Nachhaltigkeitszielen festgeschriebenem notwendigen Wildnisflächeanteil (10 %) ins Verhältnis gesetzt. Dabei zeigte sich eine deutlich zu kleine Wildnisfläche sowie eine regionale Überbelastung der Ökosysteme von 171 %.
PB Landnutzungswandel
Bezieht man sich bei der Beurteilung des Landnutzungswandels, also die durch den Menschen umgewandelten (anthropisierten) Flächen, rein auf die Fläche im Nürnberger Land (territoriale Messung), befindet man sich noch innerhalb des „sicheren Handlungsraums“. Bezieht man jedoch bei der Beurteilung auch die durch den Konsum weltweit beanspruchte anthropisierte Fläche mit ein, ergibt sich eine Überschreitung auch dieser Belastungsgrenze.
PB biogeochemische Flüsse
Der regionale Belastungszustand für die biogeochemischen Flüsse zeigt für Stickstoff anhand des Stickstoffeintrages eine Überbelastung von 474 % und anhand des gerechneten Stickstoffüberschusses für landwirtschaftliche Flächen eine Überbelastung von 173 %, und das obgleich das Nürnberger Land nach den Auswertungen der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) als weitgehend unbelastetes (grünes) Gebiet gilt. Im Rahmen der Masterarbeit hat sich ebenfals gezeigt, dass ein zu hoher Belastungszustand und damit eine Eutrophierung der Gewässer und Ökosysteme anhand des bayernweiten Phosphor-Eintrages wie auch anhand der ausgewerteten Phosphor Konzentration der regionalen Fließgewässer vorliegt. Auch hier stehen die Ergebnisse im Gegensatz zu den Auswertungen des LfL, der dem Landkreis weitgehend nicht eutrophierten Wasserkörpern atestiert.
PBs und SDGs
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass sich je nach angewandter Methodik und Datenbasis unterschiedliche Bewertungen der Belastungszustände ergeben können. Trotz dieser methodischen Schwierigkeiten konnte über die durchgeführte Regionalisierung der planetaren Belastungsgrenzen gezeigt werden, dass ungeachtet aller laufenden Nachhaltigkeitsbemühungen ein dringender und umfassender Handlungsbedarf für die Region Nürnberger Land besteht. Die quantitativen Bestimmungen der Belastungszustände sowie der Belastungsgrenzen ergänzen damit die SDGs mit einer notwendigen absoluten Rahmensetzung und stellt sie so in Kontext mit dem globalen Handlungsspielraum von uns allen – den Belastungsgrenzen unseres Planeten.
Die Ergebnisse stammen aus der Masterarbeit “Kommunale Nachhaltigkeit auf Basis der planetaren Belastungsgrenzen – auf dem Weg zu einem Präzedenzkonzept.”; 2022.
Kontakt: Stefan Schmied, stefanschmied(at)posteo.de